Wenn ich mit meinen Stadtführungen auf dem Eisernen Steg stehe, kommt früher oder später immer der gleiche Moment: Jemand schaut in den Westen, kneift die Augen zusammen und fragt: „Dimitri, was ist das denn für ein Gebäude?“
Und ich muss jedes Mal schmunzeln. Denn wer den Westhafen Tower zum ersten Mal sieht, denkt oft, Frankfurt hätte ein überdimensionales Apfelweinglas mitten an den Main gestellt. Und irgendwie stimmt das ja auch.
Architektur mit Augenzwinkern
Der Westhafen Tower steht am westlichen Ende des Frankfurter Mainufers, dort, wo früher der alte Hafen war. Heute glänzt hier moderne Architektur, und der Turm mit seiner markanten, gläsernen Rautenfassade ist ein echter Blickfang.
Entworfen wurde er von Schneider + Schumacher und 2004 fertiggestellt. Mit 112 Metern Höhe und 30 Etagen gehört er zwar nicht zu den ganz großen Hochhäusern der Stadt, aber dafür zu den charakterstärksten.
Die Fassade besteht aus rund 3.556 Glaselementen, die je nach Tageslicht in verschiedenen Grüntönen schimmern. Das auffällige Rautenmuster sorgt nicht nur für Schatten und Klimaschutz – es ist auch eine architektonische Hommage an ein Stück Frankfurter Alltagskultur: das „Gerippte“, das traditionelle Glas, aus dem hier der Apfelwein – oder liebevoll „Ebbelwoi“ – getrunken wird.
Warum das „Gerippte“ gerippt ist
Das „Gerippte“ ist mehr als nur ein hübsches Glas – es ist ein cleveres Stück Design mit Geschichte. Das traditionelles Geripptes fasst 0,3 oder 0,5 Liter. Wobei heute die 0,3 l Gerippten immer häuftiger mit 0,25 l fassenden Gläsern ersetzt werden. Diese werden oft auch als „Beschisserglas“ verspottet, da einige Wirte bei der Umstellung der Gläser von 0,3 l auf 0,25 l Fassungsvermögen den alten Preis beibehielten.
Obwohl das 0,5-Liter-Glas eher dem traditionellen Schoppenmaß entspricht, ist das 0,25-Liter-Glas heute eine der gängigen Größen.
Die typischen Rillen und Rauten am Glas haben einen ganz praktischen Grund: Sie sorgen für Griffigkeit, selbst wenn man beim Apfelweinabend in der Gaststube schon ein paar Handkäs’ mit Musik oder Rippchen mit Kraut hinter sich hat.
Mit anderen Worten – auch mit etwas fettigen Fingern rutscht das Glas nicht aus der Hand.
Außerdem brechen die Rauten das Licht so, dass der goldene Apfelwein darin noch schöner funkelt. Manche sagen, er schmeckt aus einem Gerippten einfach besser – und ich muss zugeben, da ist was dran.
Diese Verbindung von Funktion und Tradition, von Alltag und Ästhetik, findet man auch beim Westhafen Tower wieder. Seine Fassade ist sozusagen das moderne Pendant – ein gigantisches „Geripptes“ aus Glas und Stahl.
Das größte „Gerippte“ Frankfurts
Wenn man sich das Gebäude so ansieht, kann man sich kaum dem Vergleich entziehen. Die Rautenstruktur zieht sich über die gesamte Fassade – wie die Maserung auf einem Glas, nur eben in XXL.
Würde man den Westhafen Tower komplett mit Apfelwein füllen, kämen etwa 180 Millionen Liter zusammen! Das entspricht rund 545 Millionen „Gerippten“ à 0,3 Liter oder 720 Millionen Beschissergläsern.
Statistisch trinken die Hessen alle viereinhalb Jahre einmal den Westhafen Tower leer.
Zwischen Tradition und Moderne
Der Westhafen Tower zeigt wunderbar, was Frankfurt so besonders macht: Hier treffen Tradition und Moderne aufeinander, ohne sich gegenseitig im Weg zu stehen.
Das urige Apfelweinglas lebt im Design eines modernen Bürohochhauses weiter – eine charmante Verbindung von Frankfurter Gemütlichkeit und internationaler Architektur.
Ich sage immer: Der Westhafen Tower ist wie ein Apfelweinlokal in Businesskleidung – außen modern, innen mit Frankfurter Seele.
Tipp für Besucher:
Am besten sieht man den Westhafen Tower von der gegenüberliegenden Mainseite, besonders zum Sonnenuntergang. Dann glitzern die Glasrauten wie in flüssigem Gold – und man versteht, warum wir Frankfurter unsere Skyline liebevoll „Mainhattan“ nennen.