Es gibt Orte, die haben etwas Magisches – und der Römerberg ist ganz sicher einer davon. Kaum ein Platz in Frankfurt trägt so viel Geschichte und Leben in sich. Gesäumt von mehr oder weniger historischen Fachwerkhäusern, liegt er wie eine kleine Bühne zwischen dem grünen, erholsamen Mainufer und der geschäftigen, modernen Innenstadt. Hier schlägt das Herz der Stadt – laut, lebendig, manchmal chaotisch, aber immer charmant.
Und mitten auf diesem Platz, als hätte sie alles im Blick, steht sie: Justitia, die Dame mit der Waage, auf dem Gerechtigkeitsbrunnen.
Der Brunnen selbst stammt aus dem Jahr 1543 – damals war Frankfurt eine freie Reichsstadt, und der Römerberg der wichtigste Platz für Märkte, Feste und natürlich die Krönungen der Kaiser. Ja, richtig gehört: 10 Kaiser wurden hier auf dem Römerberg gefeiert. Und bei einigen dieser Feierlichkeiten floss tatsächlich Wein aus dem Brunnen! Eine Dame aus Hamburg sagte mal zu mir: „Na, das nenne ich gelebte Gerechtigkeit!“ Bis die Frankfurter im Jahr 1612 in ihrer Begeisterung den Brunnen so heftig umdrängten, dass eine Sanierung notwendig wurde.
Die Figur der Justitia steht übrigens normalerweise mit verbundenen Augen – ein Symbol dafür, dass Gerechtigkeit für alle gleich sein sollte. Aber das Lustige ist: Auf dem Frankfurter Brunnen hat sie keine Augenbinde! Das fällt vielen gar nicht auf.
Als ich das zum ersten Mal erwähnte, fragte mich ein Schüler aus meiner Tour ganz empört:
„Wie – sie sieht, wen sie richtet? Ist das dann nicht ungerecht?“
Ich musste lachen. Vielleicht hat er ja recht – vielleicht ist Frankfurts Gerechtigkeit einfach ein bisschen praktischer veranlagt.
Und wer weiß – vielleicht hat sie die Augen auch nur deshalb offen gelassen, weil sie früher direkt auf die Stadtkämmerei und später auf die Ratsherrensitzung blickte. Da kann man ja sicher nie genug hinschauen.
Und so steht sie da, mit Waage und Schwert, unbeirrt zwischen Touristen, Stadtführern und Straßenmusikern. Der Brunnen ist heute ein beliebter Treffpunkt, ein Ort, an dem man kurz innehält, bevor man weiterzieht – Richtung Römer, Dom oder Eiserner Steg.
Ich persönlich komme oft hierher, auch wenn ich keine Führung habe. Ich hole mir einen Kaffee, lehne mich ans Geländer und schaue einfach zu, wie die Stadt pulsiert. Frankfurt hat viele Gesichter – Banker, Künstler, Touristen, Studierende – aber hier am Gerechtigkeitsbrunnen treffen sie sich alle, ganz ohne Augenbinde.
Und im Sommer, am frühen Abend aucht die Sonne den Römerberg in ein goldenes Licht – und die Justitia sieht fast so aus, als würde sie lächeln.
Euer Dimitri
Stadtführer in Frankfurt