Nach dem Zweiten Weltkrieg standen die Westzonen Deutschlands vor der Frage: Wo sollen die neuen Bundesorgane sitzen? Berlin war durch die Teilung ausgeschlossen, und so bewarben sich mehrere Städte – darunter Frankfurt, Bonn, Kassel und Stuttgart – um die Rolle des provisorischen Regierungssitzes.
Frankfurt galt damals in vielen Kreisen als Favorit. Die Stadt hatte demokratische Tradition (so war hier 1848/49 die Nationalversammlung in der Paulskirche), sie lag relativ zentral in den Westzonen, und viele dachten, dass sie das Potenzial für einen Regierungssitz mitbrächte.
Aber politische Konstellationen und Hinterzimmer-Deals spielten eine gewichtige Rolle: Die CDU – insbesondere Konrad Adenauer – setzte sich hinter den Kulissen intensiv für Bonn ein.
Am 10. Mai 1949 kam es zur geheimen Abstimmung im Parlamentarischen Rat. Mit 33 zu 29 Stimmen setzte sich Bonn knapp gegen Frankfurt durch.
Doch das war noch nicht das letzte Wort: Der erste Bundestag stimmte am 3. November 1949 erneut über das Thema ab – und der Beschluss fiel diesmal mit 200 zu 176 Stimmen (bei drei Enthaltungen und einigen ungültigen Stimmen) zugunsten Bonns aus.
Somit blieb Bonn – zunächst als provisorischer Regierungssitz – bestehen, und Frankfurt verlor seine Chance auf den zentralen politischen Rangplatz.
Die Rede, die nie gesendet wurde
In all dem Trubel hatte Frankfurts Oberbürgermeister Walter Kolb bereits pragmatisch und optimistisch gehandelt: Er ließ eine Dankesrede beim damaligen Radio Frankfurt (dem späteren Hessischen Rundfunk) aufnehmen – mit dem Gedanken, sie am 10. Mai 1949 als Dank an die Bürger zu senden, falls Frankfurt die Wahl gewinnen würde.
Der knappe Sieg Bonns machte diese Rede jedoch zur Makulatur – sie wurde nie ausgestrahlt.
Im Archiv des Hessischen Rundfunks ist sie dennoch überliefert – und in der ARD Audiothek kann man sie sich online anhören.
Er beginnt seine Rede mit den Worten:
„Liebe deutsche Mitlandsleute, liebe Frankfurter Mitbürger,
unsere Stadt Frankfurt hat die Nachricht, dass sie zur Bundeshauptstadt gewählt wurde, keineswegs mit dem Gefühl irgendeines Triumphes gegenüber anderen deutschen Städten aufgenommen.“
Ein Gedanke zum Abschluss
Wenn man über solche Wendepunkte nachdenkt, wird klar: Geschichte ist oft keine geradlinige Erzählung von Logik und Ideal, sondern ein Geflecht aus Überzeugung, Macht, Timing – und manchmal auch Glück oder Kalkül. Für uns heute bleibt selbstverständlich, dass Bonn die Hauptstadt wurde. Aber für einen kurzen Moment war Frankfurt ganz nah dran – und dieser Moment hat Spuren hinterlassen: Das geplante Parlamentsgebäude am Dornbusch wurde später zum Funkhaus des hr, und das „Kolbs Badewanne“ (wie manche den Rundbau spöttisch nannten) steht noch heute im Stadtbild.
Euer Dimitri
Stadtführer in Frankfurt